Sommer und Herbst 2001

Mit der Honda XX in die Uckermark

Ein Bericht von Rainer Janneck
„...getting away from it all..." fällt mir immer ein, Freitags Nachmittags auf der Autobahn. Die Briten nennen so Ihre Wochenendausflüge. Gute Beschreibung, gute Formulierung! Alles beginnt wie immer: Autobahn, über 300 km/h fährt meine nagelneue Honda CBR 1100 XX! Hundertfünfzig PS und über zweihundertfünfzig Kilogramm stemmt die Wuchtbrumme. Meine „Ex", die Honda VTR 1000, war das „kleine Schwarze", zickig, rassig, sexy. Die XX ist üppig, rund, mit ungeheurer Energie und Kraft. Ein Vollweib! Die XX schwebt über den Dingen. Als Kind träumte ich fliegen, schweben zu können, jetzt kann ich es! Ein kleiner Dreh am Gasgriff und „...getting away from it all..."

Da ist die Uckermark und so sieht es da aus...

Die Uckermark soll es werden, heute ist Anreisetag. Hauptsächlich auf der B 195. Diese Landstraße führt von Hamburg entlang der immer jüngeren Elbe Richtung Osten, Richtung Berlin. Bis vor ein paar Jahren, als noch die frühere Berliner Studentenwohnung als Zweitdomizil diente, war dies meine Straße zur Reise in die Vergangenheit. Ein Denkmal der Zeit des In-den-Tag-Lebens. Seitdem liebe ich diese B 195.


Unterwegs Impressionen...
Die nebenbei auch noch eine tolle Straße mit schönen Ausblicken (Elbe), guter Küche (Fisch) und richtigen Kurven ist. Auch heute bringt sie mich in die Nähe Berlins, und ich werde tatsächlich ein bißchen sentimental!

Sechs Stunden herrliche Bilder von Wiesen und Weiden und Feldern und Wäldern. Und von Longhorns, wie im Western: Wollkühe mit langen Hörnern! In die Natur eintauchen. Diesen Anreisetag auf kleinen Landstraßen brauche ich, um meinen Kopf zu befreien vom Alltäglichen.Im Straßencafe „Am Himmelreich" bei Luhme bei Rheinsberg bei Neuruppin bei Berlin. Am A.... der Welt. Es ist schön hier, am Himmelreichsee. Der Kellner zeigt mir die Karte der „Rheinsberger Seen" als Beleg. Es ist wahr: Ich bin in Himmelreich!

Prebelow. Von Himmelreich sind es vielleicht zwanzig Kilometer hierher. Aber was für welche! Ein verwunschenes Nirgendwo, diese Gegend. Seen-Landschaft, Alleen-Landschaft ist grob untertrieben, fast gelogen. Bezaubernd ist es hier, besonders bei Nacht. Baumtunnel, Waldhöhlen führen das Kind im Mann an einen geheimen Ort.

Die Jugendherberge ist der Hammer!!! Ein 1925 erbautes richtiges Anwesen, welches 1987 von Herrn Fugmann übernommen und ab 1998 komplett renoviert wurde.


„Mord und Totschlag" in der
Jugendherberge Prebelow

Toskanische Uckermark

Bei einem „Kyritzer Mord und Totschlag™" (so heißt das köstliche Schwarzbier wirklich!) versuche ich zu begreifen, was ich lieber nur bestaunen würde. Was für eine Anreise. Früh geht es zu Bett.

Früh bin ich wegen der Rückenschmerzen auf den knallharten Matratzen auch wieder wach. Aua, mein Kreuz! Da helfen nur morgendliche Liegestütze. Das große Zimmer mit Bad in bester Hotelqualität steht glücklicherweise mir allein zur Verfügung.

10.30 Uhr, die erste „Schicht" ist gefahren. Toskana für ein Wochenende. Baumreihen in braun-rot-goldener Hügellandschaft, hohes Korn und geerntete Felder, in der Mitte Bauminseln, wieder Hügel, Forsthochsitze mit Blick auf Rehe und Hasen und Füchse. Erste Blätter fallen, der Mais steht schon hoch. Bis jetzt habe ich nicht gesehen, wie schön Deutschland sein kann.

In einer Eisdiele bei Strasburg bestelle ich meinen Guten-Morgen-Cappuccino. Die alte Dame auf der Straßenseite gegenüber versucht vergeblich, Papier und fallende Blätter zusammen zu fegen. Der Wind pustet ihr das Alles immer wieder weg. Sie gibt auf, kopfschüttelnd, wechselt die Straßenseite und setzt sich, den Wind betrachtend, untätig auf eine Parkbank, in die Morgensonne. Ist das schon der Herbst!?

Eine schöne junge Mutter fährt ihr Baby spazieren. Natürlich schaut sie nicht zu mir herüber! Aber nachsehen, ob ich nach ihr sehe, tut sie schon... Oder war es umgekehrt?! Es ist ein schöner Morgen! Mein Herz schlägt vor Erregung über die Einzigartigkeit des Momentes. Die schöne junge Mutter kommt zurück, setzt sich an den Tisch vis-a-vis und bestellt ein Eis.

Unterwegs mit dem Motorrad fühle ich mich männlich. Das schwarze Leder, der dominante Blick, das diabolische Lächeln, die schmutzigen Fingernägel, die verlängerten Intervalle des Wäschewechsels stimulieren maskulines Selbstbewußtsein. Als „Lebenssüchtig" hat mich ein Freund mal beschrieben; das gefällt mir.


Ein Baby und eine schöne, junge Mutter...

Die folgenden Ortsdurchfahrten erlebe ich melancholisch. Zunehmende Bewölkung, abgeerntete Felder, ein überfahrener Fuchs bringen kurzfristig den Herbst auch in meine Seele. Doch immer mehr toskanische Farbspiele – Bemerkenswert: Kaakstedt! -, ein mit einer echten Pferdestärke betriebener Erntewagen besetzt mit Kindern, aus hochsommerlichen Zeiten hängengebliebene Plakate: „Country und Western Festival mit Cowgirl-Striptease" lassen mich schmunzelnd wieder an schöne Dinge denken.


„...Gestern, oder war’s vorgestern?, fuhr hier schon mal Einer vorbei..."
Auch die Gäste der Landstraßengaststätte „Waldfrieden" träumen von besseren Zeiten und vor allem von besseren Autos. Mit erstaunlichem Detailwissen dozieren die Untere-Mittelklasse-Eigner die Vor- und Nachteile diverser PKW-Modelle der absoluten Oberklasse. „...unter zwohunnertfuzzigtausend kriegste doch heute kein gescheites Auto mehr..."

Langsam fallen erste Tropfen. Der letzte Versuch „Uckermark" vor drei Wochen war schon mal ins Wasser gefallen. Hoffentlich regnet es nicht, denke ich, als sich bereits die Wolken öffnen. In Groß Schönebeck bei Berlin am schönsten Samstagnachmittag sitze ich in einer Bushaltestelle und schaue dem strömenden Regen zu. Deutschland ist wunderschön, abgesehen vom Wetter.

 Wieder trocken und sonnig

Drei Stunden später sieht die Welt wieder sonnig aus, auch die Straße trocknet schnell. Die noch wenige Stunden zuvor gestellte Frage, ob dies schon der Herbst sei, ist hier und jetzt beantwortet: Heute ist der Tag, an dem 2001 für mich der Herbst begann!

In der Jugendherberge Feldberg mit Aussicht auf die Feldberger Seenplatte, ein Tal mit Seen und Wäldern, gibt es ein Bier zum Feierabend.

Genug gefahren, genug gesehen. Übervoll mit Eindrücken. Daß ich so denke, wundert mich. Aber tatsächlich: Es reicht für heute. Es ist 18.00 Uhr, seit 9.00 Uhr unterwegs. Die Uckermark ist ‚erfahren‘. Ein tolles Stück Deutschland. Auch eine richtige mehrtägige Reise würde sich lohnen; nicht nur ein Ein-Tages-Ritt auf hundertfünfzig Pferden.

Die neuen Pferde sind nun zugeritten, zahm geworden, sanft fast. Gewaltig nur noch, wenn man sie reizt. Die XX würde ich jetzt nicht mehr gegen meine vorher so geliebte VTR tauschen wollen. Zu souverän fährt sich dieses brilliante Stück Schwermetall. Und sonst mag ich es doch auch lieber, wenn was dran ist!

Viel zu früh schlafe ich in dem diesmal leider unvermeidlichen Mehrbettzimmer ein. Ein Geräusch, ich schrecke auf: Im Raum steht ein Typ Marke „Wandschrank" mit einem Pitbull-Tattoo am gigantischen Oberarm.

Alex erzählt, ich erzähle. Wir reden bis uns die Augen zufallen. Von der Schönheit des Seins, den Gefahren und Ängsten, geliebten Hunden die zu früh starben, Job, Frauen, Meridianen, chinesischer Heilkunst... Alex ist auf dem Weg, sein Leben in die Hand zu nehmen. Zum ersten Mal, sagt er. Seine Energie und Präsenz ist hin- und mitreißend, zwei Seelen treffen sich. Alex ist zum Tauchen hier, ich zum Motorradfahren. Beides ist heute wegen des Wetters eher schiefgegangen. Jetzt ist das unbedeutend geworden. Beruhigt schlafe ich ein.


Schicke Jugendherberge Feldberg oben auf dem Feldberg

Ein wunderbarer, trüber, nasser, trotzdem sehr warmer Morgen beginnt. Zur Feier des anbrechenden Sonntages werde ich sogar ein frisches T-Shirt anziehen. Alex und ich essen mit Hunger unser Frühstück im Park und schauen runter auf die Feldberger Seen, dieses Tal mit seiner berauschenden Landschaft.


„...Lebenssüchtig!"

Warum berichten die sogenannten Life-Style-Magazine immer von den gleichen leblosen und teuren Hotels, langweiligen Restaurants und geschminkten Welten?

In der Nähe von Adamshoffnung, der Ort heißt tatsächlich so, in einem vegetarischen Vollwert-Landhaus versorgen freundliche, lächelnde Menschen den Gast mit einem ebenso freundlichen, lächelnden Kännchen Malzkaffee, „Nein, wir haben gar keinen richtigen Kaffee...". Etwas deftiger mag ich es dann doch und fahre weiter.

„Bei Tania", der Motorradkneipe an der B 195, müssen es dann auch gleich zwei große, dick mit Schinken belegte Baguettes sein („...das hat bisher noch keiner geschafft!"), sogar noch ein Käsekuchen paßt. Hamburg und Karina sind nicht mehr weit.

Das Leben könnte schön sein, wenn man es ließe, dachte ich gerade.

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