Westalpen 2002

Schotterspaß und Kehrenglück

Ein Bericht von Christian Schulze

Das also bedeutet es, makriobiotisch zu frühstücken:
Man trinkt ungesüßten Grüntee, schlürft (gottlob) geschmacksneutrale, lauwarme Brennessel-Bärlauchsuppe und nagt zweifelnd an steinhartem, selbstgebackenem Vollkornbrot! Dies ist -neben tantrischen Übungen und Meditationsmusik die (selbstgesungen!) von morgens an, das Haus erschallen lässt- das Spezialangebot unserer ersten Zimmerwirtin in Buckten, nahe Basel, die wir am späten Nachmittag bei aufziehendem Regen voreilig aufsuchen, was sich dann ja auch am nächsten Morgen rächen sollte. Doch nach über 700km im Sattel reichte es uns fürs erste!

Wir, das sind:
Thomas mit seiner Super-Tenere und ich mit meiner treuen Africa Twin. Wir haben knapp 2 Wochen Zeit und wollen im Dreiländereck (F/CH/I) die Westalpen auf Schotterwegen und möglichst kleinen Straßen für uns entdecken.

Doch noch sind es einige Kilometer südwärts bis der Kurvenspaß so richtig beginnen kann und der Tag begrüßt uns mit 8°C und ekligem Nieselregen! Über kleinere, innerschweizerische Pässe in dichtem Nebel und Regen gelangen wir am Abend völlig durchfroren zur Grimselpaßhöhe nahe Andermatt, wo wir auch hier wieder das erstbeste Hotel wählen aber mehr Glück mit der Verpflegung haben. Am nächsten Morgen ist es trockener, dafür herrschen jetzt Minusgrade, zudem ist die malade Vorderradbremse von Thomas`s Super-Tenere komplett blockiert und bremst unseren Tatendrang erstmal gehörig ein.
Nachdem das Problem (und die Bremszangen) gelöst ist/sind, geht es endlich los. Auch die Sonne lugt jetzt hervor, sodaß wir, kurvendurstig, die ersten Serpentinen auf der Traumpässe-Rundroute Grimsel/Furka/Susten/Nufenen/ St. Gotthard unter die kalten Reifen nehmen. Gute 250 km Pässe rauf,- und runterkreiseln erleben wir an diesem strahlend schönen Sonnentag und sind kreuzfertig nach diesem motorradfahrerischen Traum als wir am fortgeschrittenen Abend wieder in unserem Grimselpaß-Hotel eintrudeln. Nach erholsamer Nacht bei reiner Bergluft sind wir am Morgen wieder topfit um Richtung Aostatal in Italien aufzubrechen.

Die Fahrt Richtung italienischem Grenzpass, Col du Gr. St. Bernard, ist ziemlich dröge und wir ersticken (oder sollte man lieber "ersaufen" sagen -bei 8°C kaltem Dauerregen!) förmlich im extremen LKW-Transitverkehr bis wir endlich in Martigny ankommen und links abbiegen können, Kurs auf den großen St. Bernhard. Eine verkehrsarme, kurvige Strecke führt uns auf diesen 2469m hohen Pass. Nun ist es auch höchste Zeit geworden unseren ersten echten Cappucino zu genießen, erstens sind wir schließlich in Italien und, zweitens, sind wir mal wieder völlig durchfroren! Weiter der toll ausgebauten Bergstrecke folgend, erreichen wir schließlich Aosta.

Aosta, mitsamt gleichlautendem Tal, hält nicht, was wir uns versprachen: zu üppig der Verkehr, zu breit die Straßen und viel zu viele Einkaufscenter sind hier aneinandergereiht (man könnte meinen, durch Andorra Stadt zu fahren). Einige Kilometer dem Talschnitt ostwärts folgend, erreichen wir unser nächstes Quartier in einer mittelgroßen Stadt, namens Chatillon. Dies ist ein ausgezeichneter Ausgangspunkt um am nächsten Tag den Aufstieg zum Matterhorn unter die Stollen zu nehmen. Unser Ziel ist es, möglichst weit hoch zu kommen; mit dem Denzel im Tankrucksack wollen wir mal schauen was geht. Zunächst geht es über kleine, gewundene Sträßchen über eine Strecke von ca. 30km nach Breuil-Cervinia auf gut 2000MüM. Das Städtchen ist stark touristisch geprägt und wir haben ungewollt Gelegenheit, die grausamen Vorbereitungen für die kommende Skisaison zu beobachten. Wer schon einmal einen Skiort, samt Skianlage, im Sommer ohne Schnee gesehen hat, weiß was ich meine!
Hier ist auch erstmal Ende der asphaltierten Straßenführung, wie wir beim herumstöbern nach dem richtigen Einstieg zu einer beschriebenen Schutzhütte bald feststellen.

Das "Refugio Duca degli Abruzzi" an der Südflanke des Matterhorns auf 2802 MüM scheint wohl der höchste anfahrbare Punkt von dieser Seite aus zu sein. Doch nachdem wir endlich den richtigen Weg gefunden haben, sind wir guten Mutes und wollen mal schauen ob es nicht doch noch irgendwie weiter geht. Dieser private Güterweg ist seit längerer Zeit nicht mehr in Stand gehalten worden, sodaß bei uns echte Offroad-Ambitionen aufkommen und die schweren Enduros auf dem sehr steilen Grobschotterweg oft nur mit viel Gas durch die engen Kehren gezirkelt werden können. Ein Heidenspaß!

Oben angekommen müssen wir leider feststellen, daß
1. das Refugio wohl schon seit längerer Zeit nicht mehr betrieben wird und
2. hier wirklich Schluß ist, außer man trägt Wanderstiefel und Kletterausrüstung!

Hinzu kommt das -immer noch- naßkalte Witterung mit reichlich Schauern vorherrscht und wir durch die starke Bewölkung quasi keine Aussicht haben. So müssen wir also unsere Erstürmung des Matterhorns bei bescheidenen 2802 von 4478 verfügbaren MüM beschließen. Schon am nächsten Tag verlassen wir das Aostatal (und Italien) westwärts über den wunderschönen, französischen Grenzpass Col du Petit St. Bernard. Vom kleinen St. Bernhard kommend in Richtung Bourg-St. Maurice erleben wir dermaßen perfekte Kurven / Kehrenkombinationen, das wir uns regelrecht schwindlig fahren. Immer der N90 folgend, finden wir, kurz vor Albertville, eine quasi verkehrsfreie Bergstrecke über das "Massif de la Vanoise", den eher unbedeutenden Col de la Madeleine, wo wir uns im Passrestaurant eine köstliche, französische Käsesuppe schmecken lassen. Eine solche Pause haben wir wieder mal bitter nötig, will doch das Wetter immer noch nicht mitspielen. Sind wir am Morgen noch bei Sonnenschein aufgebrochen, ist das Wetter sukzessive immer kälter, nasser und grauer geworden, sodaß wir hier jetzt mal gerade 6°C und Nieselregen haben!

Wenige Kilometer unterhalb des Passes entdecken wir in einer Linkskehre ein kleines, gemütlich scheinendes Gasthaus. Hier werden auch -speziell auf Motorradfahrer zugeschnittene!- "Moto-Soiree" angeboten, sodaß wir einerseits der versprochenen Leistung, andererseits der günstigen Preise wegen, hier Quartier beziehen. Und es entpuppt sich als einer dieser seltenen Glückstreffer: Der Chef ist Koch/Kellner/Barkeeper/Zimmermädchen und Motorradfahrer in Personalunion und kocht so meisterlich, daß wir ernsthaft überlegen, hierhin auszuwandern. Zwei fantastische Tage verleben wir hier und vertreiben uns die Zeit damit, die Umgebung on,- und offroad zu erforschen und ohne Gepäck ordentlich anzugasen. Dieses kleine Stück Frankreich beeindruckt vor allem durch seine üppige Vegetation, die sattgrünen Weiden und die tolle Gebirgslandschaft. Nur eine stattliche Anzahl zu erwartender Pässe kann uns dazu bringen, unseren "Maitre" zu verlassen!



Und so verlassen wir unseren liebgewonnenen Col de la Madeleine und stürmen in südöstlicher Richtung über den Col du Telegraphe, den Galibier (nebst Offroadpassage zu einem geschlossenen Militärfort), den Lautaret, durch das wunderschöne, an Skandinavien erinnernde, Tal "Valle de la Guisane", Richtung Italien.

Im -unter Alpen(offroad)fahrern- bekannten Örtchen Bardonecchia, in dem alljährlich das höchstgelegene und größte Alpen-Motorradtreffen, -die Stella Alpina- stattfindet, kommen wir in einer reichlich überteuerten und ziemlich schäbigen Pension im ,gerade mal wieder, einsetzenden Regen unter. Die Beliebtheit des Ortes unter Offroadern jeglicher Coleur ist schon auf dem Weg hierhin deutlich zu spüren. Es sind erstaunlich viele Trialer, Crosser, Hardenduristen und Geländewagen unterwegs. In beinahe jeder Tankstelle gibt es Crossreifen, Kettenspray und ähnliches Equipment zu kaufen. Kurzum, hier sind wir wohl richtig und es stellt sich auch gleich sowas ähnliches wie Rennfieber ein.

So sind wir denn auch am nächsten Morgen eifrig damit beschäftigt, den richtigen Einstieg zum Sommeiller zu suchen. Nachdem wir endlich den richtigen Weg gefunden haben, führt uns ein unglaublich enges, perfekt asphaltiertes Sträßchen mit einer schaurig-schönen Streckenführung nach Rochemolles, dem letzten Dorf vor dem Gipfel. Hier beginnt eine, zunächst noch recht harmlose, Schotterstraße am Ostufer eines schönen Stausees entlang, die uns zum Rifugio Scarfiotti (einer sommers bewirtschafteten Almhütte auf 2156MüM), führt.

Von hier aus nimmt, gerade auch durch den ergiebigen Regen der letzten Tage, der Schwierigkeitsgrad erheblich zu. Über zum Teil sehr enge, ausgefahrene und schlammige Kehren die sich mit flacheren Streckenabschnitten abwechseln, erreichen wir schließlich den Colle Sommeiller direkt am Scheitel des Grenzverlaufs Frankreich / Italien auf 3050MüM. Unser bisher höchster Alpenpunkt ist erreicht!

Der folgende Tag ist reserviert für die "Bezwingung" der spektakulären "Assietta-Kammstraße", doch eiskalter Dauerregen, gleich von morgens an, zwingt uns, einen Ruhetag einzulegen. Nach diesem langweiligen Gammeltag, der nur dazu zu gebrauchen war, unseren Lektürevorrat hinwegschmelzen zu lassen, freuen wir uns, die Mopeds wieder anschmeißen zu können. Leider müssen wir nun auch die Bezwingung der "Assietta" auf einen späteren Besuch verlegen, da es für uns Zeit geworden ist wieder Kurs Richtung Deutschland einzuschlagen.

Wir sind uns nämlich einig, nur ungern extreme Marathonetappen fahren zu "müssen" und lieber auch die Heimfahrt so angenehm als möglich zu gestalten, das heißt: kleine, schöne Strecken suchen und den Spaß möglichst lange rauszuziehen.

So brechen wir denn auf Richtung Genfer See und finden auf dem Weg fantastische Strecken, wie z.B. das Susa-Tal im nördlichen Piemont und den tollen Aufstieg zum, schon wieder französischen, Mont Cenis am gleichnamigen See. Weiter über den Col de L`Iseran und das Val d`Isere führt uns unser Weg nach Bourg St. Maurice.

Hier genießen wir denn auch die erste Pause seit Tagen bei strahlendem Sonnenschein und einem Eis.
Anschließend geht es über eine (schottland-ähnliche) Traumroute, die selbst noch unsere heißgeliebte Region, rund um den Col de la Madeleine, übertrifft: der D902 folgend bis Beaufort, dann auf die D 218 bis Flumet, weiter über den Col des Aravis nach La Cluzac, bevor die sehr spektakuläre Straßenführung etwas sanfter wird und uns, nun der D12 folgend, nach Bonneville führt.

Im nahegelegenen St. Jeoire finden wir einen kleinen aber feinen Landgasthof mit akzeptablen Preisen und der bisher besten französischen Küche. Glücklich, gemästet und keiner Regung mehr fähig, fallen wir todmüde in die Betten. Das sehr schicke und mondäne Genf empfängt uns am nöchsten Tag mit strahlendem Sonnenschein und 25°C. Durch die perfekte Beschilderung finden wir mühelos durch die Stadt unseren Weg in die Berge.
Diese Berge sind eigentlich mittlerweile schon eher Hügel zu nennen, doch bieten sie, wie z. B. der Col de la Faucille mit seinen nur 1320 MüM, alles was der Motorradfahrer braucht zum Glück.
Der weitere Weg Richtung Basel lässt dann aber, trotz penibelster Routenplanung, doch zu wünschen übrig und uns gehen so langsam die Kurven aus. Kaum über die Grenze suchen wir uns rasch noch eine allerletzte Pension im Schwarzwald, bevor es am nächsten Tag dann endgültig heißt: ab auf die Autobahn und Meter machen! FAZIT: Mit unseren Reiseenduros hatten wir für diese Tour exakt das richtige Gerät zur Hand: "fast immer" genügend Schräglagenfreiheit und Power um die tollen Pässe zu genießen, aber auch -noch ausreichende- Offroadqualitäten um die gesteckten Offroad-Ziele zu erreichen.
Der Lohn waren die (halblegale) Erreichung des höchsten anfahrbaren Punktes des Matterhorns und das (legale) Hochplateau am Sommeiller auf immerhin 3050 MüM. Zudem haben wir traumhaft-schöne Gegenden in Frankreich entdeckt und hier auch sehr gut gewohnt, gegessen und gelebt.




Reiseinformationen

Übernachten In den Westalpen gibt es für jeden Geschmack und Geldbeutel Übernachtungsmöglichkeiten in Hülle und Fülle, sodaß jegliche Buchung von Unterkünften entfallen kann.
Wir haben uns für Pensionen und einfache Gasthäuser entschieden und sind damit preis/leistungsmäßig gut gefahren.
Essen Durch die spezielle Lage der Westalpen im Drei-Länder-Eck ist es quasi ganz unvermeidlich eine große Vielfalt auch im Bereich der Gastronomie zu erleben. Die größten (aber auch teuersten) Gaumenfreuden haben wir -natürlich- auf französischer Seite gemacht.
Karten Für eine Tour wie diese, ist ausgezeichnete Kartenführung und Hintergrundwissen (Stichwort: Streckensperrung!) unabdingbar. So wird der "Alpenstraßenführer" aus dem Denzel-Verlag in möglichst aktueller Auflage sehr schnell zur meistgelesenen Lektüre einer solchen Reise. Komplettiert wurde um die Michelin Karte 244 "Rhone-Alpes" in 1:200.00 für den französischen Teil und um die Motorradreisekarten "Alpen" in 1:300.00 vom RV- Verlag; diese erwiesen sich als sehr praktisch wegen ihre Regenfestigkeit und dem kleinen Einzelblattmaß.
Geld Seit dem Euro ist eine solche viel-grenzen-überschreitende Tour ein Kinderspiel geworden!
In der Schweiz ist der Franken nach wie vor offizielle Staatswährung, allerdings konnten wir nur selten nicht trotzdem mit dem Euro zahlen.
Fahrstrecke Gesamt ca. 3500km, davon ca. 2200km in der Schweiz und den Westalpen.
Reisezeit Wir sind im September gefahren und hatten leider Pech mit einem hartnäckigen (und äußerst ergiebigen)Tief.
Doch sollte man vorsichtshalber nicht früher als Mitte/Ende Juni und nicht später als Ende September fahren, da in den Höhenlagen der Schnee erst spät geht und schon sehr bald wiederkommt.
zurück zur Startseite Motorrad-Reisebeichte